Vorsorgevollmacht des Unternehmers
Das Erwachsenenschutzrecht regelt Möglichkeiten der gesetzlichen Vertretung für Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind. Regelungsinhalt ist beispielsweise die Auswahl, Anzahl und der Wirkungskreis der Vertreter, Rechte und Pflichten der vertretenen Person und ihrer Vertreter, den Zeitraum der Vertretung, sowie die Kosten der Vertretung und die Kontrolle der Vertreter.
Das 2. Erwachsenenschutz‑Gesetz hat ‑ basierend auf internationalen Vorgaben ‑ die Grundsätze der Erwachsenenvertretung durchgreifend erneuert und ist von den Prinzipien „Unterstützung vor Vertretung“ (§§ 239, 240 ABGB) und „Selbstbestimmung trotz Stellvertretung“ (§ 241 ABGB) getragen.
Ein Unternehmer wünscht sich typischerweise die Möglichkeit, heute schon eine Vollmacht zu erteilen, welche erst wirksam werden soll, wenn er selbst nicht mehr entscheidungsfähig ist. In dieser Vollmacht möchte er auch konkrete Vorgaben machen, wie sein privates und betriebliches Vermögen zu verwalten ist und welche Vorstellungen er hinsichtlich seiner medizinischen Versorgung und Unterbringung hat.
Die Notwendigkeit einer Vertretung kann jede Person in doppelter Weise betreffen: Jeder von uns kann als Vertreter für Angehörige in Frage kommen oder selbst eine Vertretung benötigen, unabhängig vom Lebensalter. Ein Unfall oder eine Krankheit sind oft nicht vorhersehbar und können jeden jederzeit treffen. Daher ist die Vorsorgevollmacht gleichermaßen ein Thema für junge und ältere Unternehmer.
Die österreichische Rechtsordnung stellt für Unternehmer im Rahmen des Vier Säulen Modells der Erwachsenenvertretung insbesondere das Instrument der Vorsorgevollmacht zur Verfügung.
Bei der Einführung des Instruments der Vorsorgevollmacht hatte der Gesetzgeber allerdings nicht die spezifische Lebenssituation von Unternehmern im Blick, sondern regelte die Möglichkeit, die Stellvertretung für den Verlust der Entscheidungsfähigkeit selbst zu regeln, ganz allgemein. Diese Regelungen im 6. Hauptstück des ABGB passen daher sehr gut auf Alltagssituationen im privaten Bereich, nehmen jedoch auf spezifische Erfordernisse von Unternehmern nicht Bezug.
Was will ein Unternehmer vorab für den Fall regeln, dass er seine Entscheidungsfähigkeit verliert? Dem Unternehmer ist eine umfassende Vorsorge wichtig: Neben der Erhaltung möglichst hoher körperlicher Lebensqualität (Mobilität, Schmerzfreiheit) will der Unternehmer ausreichend Liquidität zur Verfügung haben, um persönliche Vorhaben umsetzen zu können. In dieser ganzheitlichen Betrachtung ist die rechtliche Dimension nur eine von mehreren. Die persönliche Vertretung und die Vermögensverwaltung ist mit einer Familienverfassung und einem „Family Office“ in Einklang zu bringen. Im gesundheitlichen Bereich ist frühzeitig ein Advanced Care Planning (ACP) umzusetzen. Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung sind ‑ in moderner Betrachtung ‑ nur eine Ebene der Umsetzung des ACP und nicht isoliert voneinander zu betrachten.
Darüber hinaus ist es dem Unternehmer meist wichtig, seinen im Unternehmen materialisierten Lebenstraum fortbestehen zu lassen. Der Fortbestand des Unternehmens, für deren Mitarbeiter, deren Familien und Kunden er Verantwortung trägt, ist dem Unternehmer meist ein zentrales Anliegen. Unternehmer sind es gewohnt Entscheidungen zu treffen. Sie tragen im Vergleich zu anderen Personen meist mehr Verantwortung, da sie auch ihren Mitarbeitern und deren Familien die materielle Lebensgrundlage bieten. Aus diesen Gründen zählen Unternehmer typischerweise zu den Personen, die unter einem alters‑ oder krankheitsbedingten Autonomieverlust besonders leiden.
Im Wissen, dass die erreichten Erfolge ihrem unternehmerischen Lebenswerk entspringen, wollen Unternehmer vermeiden, dass fremde Personen für sie Entscheidungen treffen, insbesondere Pflegschaftsrichter und von diesen für sie bestellte Vertreter. Je stärker Unternehmer in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt werden, umso wichtiger wird es ihnen sein, dass ihre Wünsche und Vorgaben durch von ihnen ausgesuchte Vertrauenspersonen umgesetzt werden.
Auf den entscheidungsunfähigen Stifter soll besonders eingegangen werden. Das sind zumeist Unternehmer, welche ihr Vermögen in eine (österreichische) Privatstiftung eingebracht haben, deren Stifter sie sind. Dabei durchlebt ein Unternehmer, der seine Geschäftsfähigkeit verliert und zuvor Stifter einer Privatstiftung war, diesen Autonomieverlust zum zweiten Mal: Auch die Einbringung seines Vermögens in die Stiftung war mit einem Verlust an Einfluss verbunden.
Beide Lebenssituationen, Errichtung einer Stiftungserklärung mit Vermögensübertragung auf eine Privatstiftung und die Errichtung einer Vorsorgevollmacht weisen Parallelen auf:
• Das ursprünglich dem Unternehmer gehörende Vermögen wird in der Privatstiftung über dessen Auftrag von dritten Personen, Stiftungsvorständen, verwaltet.
• Im Fall einer Vorsorgevollmacht verwalten Vorsorgebevollmächtigte das Vermögen des Unternehmers, denen der Unternehmer Verwaltungsrichtlinien und Ermessensspielräume vorgeben kann, welche ex ante für die Zukunft zu definieren sind.
Solche Vorgaben, Verwaltungsrichtlinien und Ermessensspielräume, erfolgen in Gesellschaftsverträgen, in der Stiftungserklärung und auch in der Vorsorgevollmacht.
Ein besonderes Charakteristikum bei der Vorsorgevollmacht des Stifters ist daher, dass der Stifter die Verwaltung des von ihm gestifteten Vermögens in der Regel bereits in die Hände von Personen gelegt hat, die sein besonderes Vertrauen genießen und denen er die Vermögensverwaltung zutraut. Dieser Personenkreis umfasst meistens Fachleute (insbesondere Rechts‑ und Steuerberater) und Familienangehörige. Dieselben Personen werden auch als Vorsorgebevollmächtigte in Frage kommen.
Die Abgrenzung der Befugnisse der bevollmächtigten Personen in ihren verschiedenen Rollen als Erwachsenenvertreter, Vorsorgebevollmächtigter, Stiftungsvorstand, Beirat, Stiftungsprüfer, als Begünstigter oder Angehöriger stellt bei der Gestaltung von Urkunden, insbesondere der Vorsorgevollmacht, eine besondere Herausforderung dar. Dabei stellt sich die Frage, ob möglicherweise Interessenskollisionen auftreten und welche Auswirkungen diese haben können. Wie weit ist die Erteilung einer Vorsorgevollmacht an Leitungs‑ und Stiftungsorgane im Bereich der Personenvorsorge und der Vermögensvorsorge zulässig? Wie sind Unvereinbarkeiten rechtlich fassbar? Welche „Sicherheitsnetze“ sind möglich?
Stifter haben einen Teil von vermögensrechtlichen Entscheidungen im Wege der Stiftung bereits an den Stiftungsvorstand als Kollegialorgan ausgelagert. Für viele Unternehmer ist es daher naheliegend, mehrere Vorsorgebevollmächtigte zu bestellen. Bei Vorsorgevollmachten von Unternehmern bieten sich daher Kollegialorgane an, um ausgewogene Entscheidungen sicherzustellen, Abhängigkeit von individuellen Vorstellungen Einzelner möglichst zu minimieren und Kontrollelemente zu implementieren.
Eine künftige Unsicherheit stellt auch der mögliche Ausfall von Vorsorgebevollmächtigten dar. Was ist, wenn mein Vorsorgebevollmächtigter verstirbt oder einen unfall hat?
Ein weiterer Unterschied zu „gewöhnlichen“ Vorsorgevollmachten besteht daher darin, dass im privaten Bereich oft nur eine Vertrauensperson für alle Angelegenheiten benannt wird. Bei Vorsorgevollmachten von Unternehmern ist jedoch regelmäßig „Sphärentrennung“ gewünscht, also eine Trennung in vermögensrechtlichen Angelegenheiten zwischen dem privaten und unternehmerischen Bereich einerseits und dem Bereich der Personenvorsorge andererseits. Welche Möglichkeiten bestehen, diese Bereiche voneinander abzugrenzen? All diese Fragen sind Gegenstand der notariellen Beratung bei der Errichtung von Vorsorgevollmachten.